Abstraktes Linienspiel. Foto: Christian Ahrens, Köln

Leica M9 – Anfreunden mit dem Messsucher (part 2 of 3)

Dies ist der zweite Teil meines Erfahrungsberichtes über die Leica M9, die ich für einige Wochen ausprobieren durfte. Der erste Teil ist hier erschienen.

Apropos, und das ist kein Widerspruch: Seit Jahren fotografiere ich mit den einstelligen Canons und ich kann sagen, dass ich mit dieser Kameragattung, mit ihrer Geschwindigkeit und Präzision vollkommen verwoben bin. Beim Fotografieren habe ich oft das Gefühl, dass die Kamera ein Teil von mir geworden ist und meinen Ideen und Absichten schnell und sicher folgen kann. Dabei verlasse ich mich in einem hohen Maß auch auf den außerordentlich leistungsfähigen Autofokus und auf eine Technik, die manuelles Fokussieren eigentlich gar nicht mehr wirklich unterstützt.
Und nun habe ich hier eine M9 in der Hand. Eine Kamera, die in Sachen Autofokus gänzlich unbeleckt ist und die als Fokussierhilfe lediglich zwei Geisterbilder in der Mitte des Suchers anbietet, die zur Deckung gebracht werden müssen. Und das mit lichtstarken Objektiven und meiner ausgeprägten Neigung, die scharfen Bildelemente links oder rechts zu platzieren, aber bestimmt nicht in der Mitte. Kann man mit so einer Kamera überhaupt fotografieren? Gibt es da auch nur ein scharfes Foto bei Offenblende?

Portrait eines Schreiners. Foto: Christian Ahrens, Köln

Portrait eines Schreiners. Foto: Christian Ahrens, Köln

Man kann. Und, ja: die Bilder sind scharf. Zu meiner maßlosen Überraschung funktioniert das richtig gut. Auch bei Offenblende im Schummerlicht. Auch, wenn man die Kamera verschwenken muss, um nach dem Scharfstellen die Bildkomposition zu finden. Ich war begeistert und fasziniert: das geht, das geht auf den Punkt. Und nicht nur, wenn man die Schärfe benötigt, die man für den Druck braucht. Das geht sogar dann, wenn man sich die Bilder in der 100%-Darstellung am Bildschirm betrachtet.
Ich hatte die Leica leider nur drei Wochen, und ich bin in dieser Zeit sicherlich nicht zum Scharfstellungs-Geschwindigkeits-Profi in Sachen Messsucher geworden. Aber ich hatte in den Stunden, in denen ich mich mit der M9 beschäftigen konnte, nur sehr wenig Ausschuss. Ich bin noch immer verblüfft. Ja, man kann auch in digitalen Zeiten manuell scharfstellen!

Abstraktes Linienspiel. Foto: Christian Ahrens, Köln

Abstraktes Linienspiel. Foto: Christian Ahrens, Köln

À la flaneur
Die M9 ist eine Kamera für Flaneure. Damit meine ich nicht, dass sie nur reichen Schnöseln mit zu viel Freizeit vorbehalten sein sollte. Nein, es ist eine Kamera für die Zeit im Leben, in der man sich treiben lässt, in der man als Auge durch die Welt schwimmt – und nicht produzieren muss und die Ansprüche anderer effizient zu erfüllen hat.
Auch wenn es ein bißchen zu sehr nach Feuilleton klingt: die M9 ist ein Entschleunigertool, eine Kamera für die Momente, in denen man ein wenig von der Magie des Lebens einfangen kann. Oder für zufällige, kostbare Funde. Ideal für Streifzüge durch Städte, bei Tag oder Nacht. Durch verlassene Siedlungen, sonntäglich vereinsamte Industriegebiete oder für Wanderungen auf illegal betretenem Grund.

Harmlos liegt die Kamera mit dem aufgesetzten 35mm-Objektiv in der Jackentasche und wird unspektakulär gezückt, wenn eine Komposition so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, dass ein Bild sich zu lohnen scheint. Sogar an ein paar Streetfotos habe ich mich versucht, und obwohl ich nicht behaupten kann, dass ich hier über besondere Skills verfüge, sind mir ein paar ganz nette Aufnahmen gelungen. Warum habe ich das eigentlich probiert? Weil mir der Herr Cartier-Bresson im Kopf herumschwirrt? Oder weil die M9 sich besonders dafür eignet und einen Zugang zu längst vergangenen Sujets neu eröffnet? Oder wegen beidem? Ich weiß es nicht, aber es hat auf jeden Fall Spaß gemacht.

Street-Versuche. Foto: Christian Ahrens, Köln

Street-Versuche. Foto: Christian Ahrens, Köln

Würde ich diese Kamera besitzen, könnte ich mir sogar vorstellen, in diese Art von Fotografie wieder einzusteigen. Kann ein schnödes Kameramodell, ein Haufen materialgewordener Technik, die eigene fotografische Entwicklung tatsächlich beeinflussen? Ich halte es fast für möglich.

– Fortsetzung folgt. –

2 Kommentare
  1. Julian
    Julian sagte:

    Hallo Christian,

    ich war gestern auf der Photokina, auch bei Leica und fragte ganz plump, was die „Faszination Leica“ ausmachen würde. Kurz darauf hielt ich schon die neue M9 in der Hand.

    Tja was zeichnet Leica bzw. die Kamers aus? Ich war fasziniert von einer ganz anderen Herangehensweise beim Fotografieren. Kein Autofokus, keine großen Automatiken, aber stark reduzierte Bedienelemente am Gehäuse. Man fühlt sich mehr als Fotograf – in meiner Postition würde ich das Fotografieren mit einer Leica fast schon als „oldschool“ bezeichnen. Man denkt genau über das nach, was man gerade tut. Das soll nicht heißen, dass man bei den gewohnten DSLR´s das Hirn abschaltet, aber schaut man sich alleine die verschiedenen Autofokusmodi, 52 Messfelder – jedes natürlich einzeln anwählbar – und allen Schnickschnack an, fände ich es einfach eine tolle Abwechslung, back to the road aber dennoch digital in Zukunft mit einer Leica zu fotografieren.

    Die Kamera ist also ein wirklich tolles Gerät um sich fotografisch ausleben zu können, um in Ruhe zu fotografieren. Aber natürlich teuer… Wie du sagtest, es ist toll auf Dinge hin zu arbeiten ;-).

    Antworten

Trackbacks & Pingbacks

  1. […] Christian Ahrens – Warum Kleinbild doch irgendwie Leica ist, Teil 2 […]

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar zu Julian Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert